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ZERO. Sie wissen, was du tust

Ist es Paranoia? Oder ist es Realität, wenn Cynthia Bonsant das Gefühl hat, total beobachtet und überwacht zu sein?

Bereits mit den uns bekannten Mitteln sind wir ja schon weitgehend „durchleuchtet“, das haben uns zuletzt Edward Snowden und die NSA-Affäre deutlich gemacht, das ist aber etwas, was wir eigentlich alle wissen könnten, wenn wir dies nicht gleichzeitig auch immer wieder vergessen oder verdrängen würden.

Mit den ja jetzt auch schon erhältlichen „Glasses“, digitalen Datenbrillen, sind noch ganz andere Möglichkeiten gegeben, die der Roman „ZERO. Sie wissen, was Du tust“ von Marc Elsberg weiter denkt: Eine spannende und unterhaltsame Lektüre auf ernstem aktuellen Hintergrund, die ich in ZUM-Buch rezensiert habe.

Muslimische und deutsche Schülerinnen

Wer beim Lesen des Titels für diesen Beitrag schon „ins Stolpern“ geraten ist, hat vermutlich schon verstanden, was mich bewegt hat, als ich die Bildunterschrift „Muslimische und deutsche Schülerinnen an einer deutschen Schule“ unter einem Bild in einem neuen Geschichtsbuch für die Einführungsphase der Oberstufe in Nordrhein-Westfalen entdeckt habe (Zeiten und Menschen. Geschichte. Einführungsphase Nordrhein-Westfalen. Verlag Schoeningh. Paderborn 2014, S. 94).

Mich irritiert diese Bildunterschrift umso mehr, als es sich a) um ein neu (im Hinblick auf die im Herbst 2014 in Kraft tretenden neuen kompetenzorientierten Lehrpläne) erstelltes Lehrwerk handelt und es b) ja wohl Intention des Buches ist, im Abschnitt „Islamische Welt – christliche Welt: Begegnung zweiter Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit“ zum Abbau von Vorurteilen und Klischees beizutragen.

Bei allem Verständnis dafür, dass unter dem sicherlich gegebenen Zeitdruck bei der Erstellung eines neues Lehrwerks nicht immer an allen Details in wünschenswerter Weise gefeilt werden kann, habe ich kein Verständnis dafür, dass hier „muslimisch“ und „deutsch“ als offensichtlich gegensätzlich zu verstehendes Begriffspaar genutzt wird:

  • Ein großer Teil der Muslime und Musliminnen in Deutschland besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. „muslimisch“ und „deutsch“ ist also keineswegs ein Gegensatz.

Ok, wenn man an dieser Stelle politisch korrekt formulieren möchte, kann es schnell schwierig werden. Aber es könnte doch z.B. heißen: „Eine muslimische Schülerin in einer deutschen Schulklasse.“

Allerdings stört mich noch etwas an dieser Stelle: Das Bild, unter dem der zitierte Text steht, zeigt, ein Mädchen mit einem weißen Kopftuch. An der Art, wie dieses Kopftuch getragen wird, ist erkenntlich, dass es sich um ein „muslimisches“ Kopftuch handelt. Aber woher weiß ich als Betrachter, dass vielleicht nicht auch das gegenüber sitzende Mädchen (ohne Kopftuch und mit offenen Haaren) Muslimin ist? – An meiner Schule trägt nur eine kleine Minderheit der muslimischen Schülerinnen ein Kopftuch.

OK, hier steht ja der Plural „muslimische … Schülerinnen“, insofern kann das im Hintergrund links sitzende Mädchen mitgemeint sein. Aber im Vordergrund und deutlich hervorgehoben sitzt halt das Mädchen mit Kopftuch. – Diese Bildkomposition wirkt suggestiv. Denn genau so gut könnte doch das Kopftuch-Mädchen im Hintergrund sitzen …

Auch wenn die Situation an anderen Schulen bzw. an anderen Orten in Deutschland durchaus stärker durch ein äußerlich leicht erkennbares „muslimisches“ Erscheinungsbild geprägt sein mag, so stört es mich doch erheblich, wenn die öffentliche Diskussion und eben auch die Darstellung in einem – neuen! – Schulbuch an diesem Punkt sehr undifferenziert ist.

Auf mich wirkt eine Bildauswahl nach dem Schema „Muslimin“ = „Kopftuch“ (an mehreren Stellen des genannten Lehrwerks erkennbar) ein wenig wie das, was ich erlebt habe, als ich (in den achtziger Jahren) nach Chile kam: Männliche Deutsche stellte man sich damals, so war mein Eindruck, in Lederhosen und Schuhplattler tanzend vor. Das war für mich als Norddeutschen schon ziemlich irritierend; und auch für einen Bayern wäre das wohl kein zeitgemäßes Bild mehr gewesen.

Anders gesagt: Man schaue sich doch einmal in Deutschland um: Musliminnen und Muslime sind keineswegs sofort äußerlich erkennbar. Und auch in der Türkei und in zahlreichen anderen muslimisch geprägten Ländern sieht man keineswegs überall im Straßenbild zuallererst Kopftücher und Bärte.

Ich wünsche mir von einem neuen Schulbuch im Jahr 2014 eine deutlich differenzierte Betrachtungsweise, als sie in der von mir zitierten Bildunterschrift (und der Auswahl des dazu gehörigen Fotos) deutlich wird.