Wer beim Lesen des Titels für diesen Beitrag schon „ins Stolpern“ geraten ist, hat vermutlich schon verstanden, was mich bewegt hat, als ich die Bildunterschrift „Muslimische und deutsche Schülerinnen an einer deutschen Schule“ unter einem Bild in einem neuen Geschichtsbuch für die Einführungsphase der Oberstufe in Nordrhein-Westfalen entdeckt habe (Zeiten und Menschen. Geschichte. Einführungsphase Nordrhein-Westfalen. Verlag Schoeningh. Paderborn 2014, S. 94).
Mich irritiert diese Bildunterschrift umso mehr, als es sich a) um ein neu (im Hinblick auf die im Herbst 2014 in Kraft tretenden neuen kompetenzorientierten Lehrpläne) erstelltes Lehrwerk handelt und es b) ja wohl Intention des Buches ist, im Abschnitt „Islamische Welt – christliche Welt: Begegnung zweiter Kulturen in Mittelalter und früher Neuzeit“ zum Abbau von Vorurteilen und Klischees beizutragen.
Bei allem Verständnis dafür, dass unter dem sicherlich gegebenen Zeitdruck bei der Erstellung eines neues Lehrwerks nicht immer an allen Details in wünschenswerter Weise gefeilt werden kann, habe ich kein Verständnis dafür, dass hier „muslimisch“ und „deutsch“ als offensichtlich gegensätzlich zu verstehendes Begriffspaar genutzt wird:
- Ein großer Teil der Muslime und Musliminnen in Deutschland besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit. „muslimisch“ und „deutsch“ ist also keineswegs ein Gegensatz.
Ok, wenn man an dieser Stelle politisch korrekt formulieren möchte, kann es schnell schwierig werden. Aber es könnte doch z.B. heißen: „Eine muslimische Schülerin in einer deutschen Schulklasse.“
Allerdings stört mich noch etwas an dieser Stelle: Das Bild, unter dem der zitierte Text steht, zeigt, ein Mädchen mit einem weißen Kopftuch. An der Art, wie dieses Kopftuch getragen wird, ist erkenntlich, dass es sich um ein „muslimisches“ Kopftuch handelt. Aber woher weiß ich als Betrachter, dass vielleicht nicht auch das gegenüber sitzende Mädchen (ohne Kopftuch und mit offenen Haaren) Muslimin ist? – An meiner Schule trägt nur eine kleine Minderheit der muslimischen Schülerinnen ein Kopftuch.
OK, hier steht ja der Plural „muslimische … Schülerinnen“, insofern kann das im Hintergrund links sitzende Mädchen mitgemeint sein. Aber im Vordergrund und deutlich hervorgehoben sitzt halt das Mädchen mit Kopftuch. – Diese Bildkomposition wirkt suggestiv. Denn genau so gut könnte doch das Kopftuch-Mädchen im Hintergrund sitzen …
Auch wenn die Situation an anderen Schulen bzw. an anderen Orten in Deutschland durchaus stärker durch ein äußerlich leicht erkennbares „muslimisches“ Erscheinungsbild geprägt sein mag, so stört es mich doch erheblich, wenn die öffentliche Diskussion und eben auch die Darstellung in einem – neuen! – Schulbuch an diesem Punkt sehr undifferenziert ist.
Auf mich wirkt eine Bildauswahl nach dem Schema „Muslimin“ = „Kopftuch“ (an mehreren Stellen des genannten Lehrwerks erkennbar) ein wenig wie das, was ich erlebt habe, als ich (in den achtziger Jahren) nach Chile kam: Männliche Deutsche stellte man sich damals, so war mein Eindruck, in Lederhosen und Schuhplattler tanzend vor. Das war für mich als Norddeutschen schon ziemlich irritierend; und auch für einen Bayern wäre das wohl kein zeitgemäßes Bild mehr gewesen.
Anders gesagt: Man schaue sich doch einmal in Deutschland um: Musliminnen und Muslime sind keineswegs sofort äußerlich erkennbar. Und auch in der Türkei und in zahlreichen anderen muslimisch geprägten Ländern sieht man keineswegs überall im Straßenbild zuallererst Kopftücher und Bärte.
Ich wünsche mir von einem neuen Schulbuch im Jahr 2014 eine deutlich differenzierte Betrachtungsweise, als sie in der von mir zitierten Bildunterschrift (und der Auswahl des dazu gehörigen Fotos) deutlich wird.
Bei der Bildunterschrift „Muslimische und deutsche Schülerinnen“ gebe ich dir recht. Muslimisch und deutsch schließen sich heute nicht mehr aus. Wer die Bildunterschrift formuliert hat, sähe das vermutlich selbst ein.
Beim Motiv sehe ich es ein wenig anders als du.
Ein Foto von Schülerinnen ohne Kopftuch mit der Bildunterschrift „Muslimische Schülerinnen in einer deutschen Klasse“ würde zum Rätsel. Wenn nicht sichergestellt ist, dass man keine begründete Vermutungen anstellen kann, wer Muslima ist, könnte es sogar Vorurteile unterstützen, weil man nach türkischem oder arabischen Aussehen sucht.
Ein Foto von mehreren Schülerinnen mit und ohne Kopftuch würde den voreiligen Schluss begünstigen: Die mit Kopftuch sind Musliminnen. Erst das Foto, das hervorhebt, dass nur eine Schülerin Kopftuch trägt, brächte zusammen mit der Bildunterschrift „Muslimische Schülerinnen in einer deutschen Klasse“ die scheinbare Unstimmigkeit, die Denken auslösen kann.
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